Impuls KW 41/2021

Paul Claudel, (franz. Schriftsteller 1868–1955):

Immaculada Conception (c) Ulrich Janson, in: Pfarrbriefservice.de
Immaculada Conception
Datum:
Mo. 11. Okt. 2021
Von:
Pfr. Heinz Portz

MARIA AM MITTAG

Mitten am Tag. Ich sehe die Kirche offen. So trete ich ein. Du Mutter unseres Herrn, ich komme nicht um zu beten. Nichts habe ich anzubieten, nichts zu erflehen.
Ich komme nur, Mutter, um die anzusehen,
Dich anzuschauen, zu weinen vor Glück, denn ich weiß,
daß ich Dein Sohn bin, und du bist mit mir, ganz leise,
und während alle innehält eine kleine Frist,
- Mittag -
bei dir weilen, darf Maria, da wo du bist.
Kein Sterbenswort. Nur auf dein Antlitz blicken
Und das Herz darf seine eigene Sprache ticken.
Kein Wort, nur singen, wessen übervoll das Herz,
wie die Amsel, die ihrem Einfall folgt mit dieser plötzlichen Terz.
Weil du schön bist und alles an dir mir gefällt,
Frau, in deren Gnade endlich ganz wiederhergestellt,
Kreaturen in der ersten Würde und im letzten Erblühen,
wie sie aus Gott hervortraten im Glanz der Schöpfungsfrühen,
zur Mutter des Herrn auserkoren, namenslos unversehrt,
der die Wahrheit in deinem Arm ist, die eine Frucht, der eine Wert.
Weil du die Frau bist, Eden der alten verschollenen Zärtlichkeit,
deren Blick genau das Herz trifft und die verhaltenen Tränen befreit,
und weil ein neuer Tag anbrach, und es Mittag ist,
und wir bei dir sind und du bist nicht fern,
einfach weil du da bist, und du bist, einfach weil du bist.
So sei dir Dank gesagt, Mutter unseres Herrn!

 

 

aus:
Das große Marienbuch christlicher Malerei und Ikonendarstellung
Text von Abt Hugo Lang, hg. V. Anton M. Kirchdorfer
Aschaffenburg 1984, 175