In einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist Erntedank nicht nur die feierliche Dankbarkeit für die Gaben der Erde, für die Ernte vom Acker und Garten, Wald und Weinberg, Felder und Seen, sondern auch die Feier der menschlichen Gemeinschaft und Zusammenarbeit, die solches Ernten und das Weiterverarbeiten dieser Früchte ermöglicht.
Erntedank lehrt uns verstehen, daß nicht allein die Natur die Ernte ermöglicht, sondern auch die Kultur des Menschen – d. h. das kultivierte Miteinanderarbeiten.
In jeder modernen Gesellschaft mit ihren vielen Millionen Menschen, zumal mit ihren Großstädten und ausdifferenzierten Berufsprofilen gehört letztlich nicht nur alles zusammen, sondern alle Faktoren und jede einzelne arbeitende Person müssen ineinander greifen wie die Zahnräder eines feinen Uhrwerkes: Bildung, Energiegewinnung, klassische Ernten in der Landwirtschaft, industrielle Produktion, Handwerk, sogar Unterhaltung und Urlaub. Man muß sich darauf verlassen können, daß der andere – nicht nur der direkte Kollege – seine Arbeit zuverlässig und pünktlich macht. Zum menschenwürdigen Miteinander gehören die Natur, die Gaben der Schöpfung und die Kultur, die Gestaltung der Schöpfung, ihr rechter Gebrauch und Genuß.
Es gehört vor allem der Glaube an den allmächtigen Schöpfer, den wir Christen auch als unseren Erlöser und Beistand bekennen und verehren. Und genau das ist ERNTEDANK!
Nun ist Dankbarkeit an sich für uns Menschen ein "natürlicher Impuls", denn wir begreifen, wie nötig wir immer wieder die Hilfe, die Solidarität und das Verständnis anderer brauchen. Wer sich undankbar verhält, verliert rasch die Achtung seiner Mitmenschen.
Für den gläubigen Christen ist es daher selbstverständlich, daß wir dem Schöpfer für die reichen Erntegaben danken. Wir erkennen nämlich vor allem in der Erntezeit des Herbstes, wie sehr wir Menschen auf viele günstige Bedingungen angewiesen sind, die wir selbst nicht beeinflussen können. Daher werden "die Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit" (Wortlaut des Gabengebetes) am Erntedanksonntag vor den Altar niedergelegt und gesegnet. Dies soll zugleich deutlich zeigen, daß unsere irdische Existenz - unser Arbeiten, unser Planen und Denken - nur glücken kann, wenn wir im Einklang mit Gottes Willen leben. Der Mensch, der sich und sein Leben und Arbeiten als Gott verdankt weiß, handelt auch in dem Bewußtsein, daß er dem Herr Rechenschaft schulden wird.
Wer also Gott im Dankgebet anruft, der wird auch Gottes Gaben achten und seine Schöpfung bewahren. So wird das alte Erntedankfest heute mehr denn je zu einem Schöpfungsfest, das die Schönheit der Natur preist und ihre Bewahrung in der Kultur anmahnt.
Durch das rechte Genießen, Achten und Gebrauchen der Schöpfungsgaben ehren wir immer auch den Schöpfer selbst. Wir wollen am Erntedankfest in den Gottesdiensten - besonders in den Familienmessen mit den Kommunionkindern - begreifen, daß wir nur glaubend diese schöne Welt, Gottes großartige Schöpfung in rechter Weise gestalten und erhalten können.
Zum Erntedankfest am ersten Sonntag im Oktober paßt die marianische Ausrichtung dieses Monates, den wir als Monat des Rosenkranzes kennen. Denn Maria verkörpert in ihrem Leben auf einzigartige Weise die Grundhaltung des Glaubens. Sie ist und zeigt uns als Erste der neuen Schöpfung, wie Gott wirkt, wenn wir uns ihm ganz öffnen. Der Mensch ist nach biblischem Zeugnis die Krone der Schöpfung. Durch die Sünde ist der Mensch "gefallen" - also entspricht er dem Urzustand nicht mehr, in dem Gott ihn gedacht und geschaffen hatte. Die Gottesmutter Maria ist uns auch in diesem Sinne ein Vorbild als Geschöpf: Denn sie ist so, wie Gott sich den Menschen gedacht hat. Deswegen nennen wir sie auch "neue Eva". Sie ist die Unbefleckte Empfängnis das unverdorbene Konzept Gottes. In ihr wird sichtbar, wie Gott uns gedacht hat.
In Maria wird sichtbar, daß wir Kinder Gottes sind. Das ist unsere wahre Berufung: Kinder Gottes zu sein; ihr entsprechen wir auch in unserem Handeln an und mit der Schöpfung; ihr entsprechen wir in der Feier des Erntedankfestes.
Erflehen also wir, besonders jetzt im Oktober – im Rosenkranz– und Erntedankmonat, den Segen Jesu Christi Segen und die Fürsprache der Gottesmutter.
Allmächtiger Gott, du hast deine Schöpfung mit ihren Kräften dem Menschen und seiner Arbeit anvertraut. Gib deinen Gläubigen auf die Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria den Geist der Liebe, daß sie ihre Aufgabe erfüllen, dem Nächsten selbstlos dienen und Mitarbeiter werden an der Vollendung deines Werkes.
Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.
Ihr Pfr. Heinz Portz